Im niedersächsischen Örtchen Rehburg-Loccum hält ein Anbau von pape+pape architekten perfekt die Balance zwischen unauffälligem Einpassen in ein mittelalterliches Ensemble und erkennbarem Markieren seiner Entstehungszeit im Hier und Jetzt.
Die alten Gemäuer von Klosterbibliotheken sind oft von einer geheimnisvollen Mystik umgeben. Kein Wunder, denn darin verbergen sich oft jahrhundertealte, wertvolle Schriften, die nur selten ans Tageslicht gelangen. So auch im Kloster Loccum in der niedersächsischen Stadt Rehburg-Loccum, das auf eine Geschichte von über 850 Jahren an diesem Ort zurückblicken kann. Die Bauanlage mit Kirchengebäude reicht teils bis in die spätromanische Zeit zurück. Seit 1820 ist hier ein Predigerseminar der Evangelisch-lutherischen Landeskirche untergebracht, in dem angehende Pastoren und Pastorinnen ausgebildet werden.
2016 wurde ein Wettbewerb für einen Erweiterungsbau ausgelobt, den pape+pape architekten aus Kassel für sich entscheiden konnten. Ihr Entwurf ersetzt den in den 1990er-Jahren errichteten »Prendelbau«, der damals zwar die Lücke in der Süd-Ost-Ecke des Ensembles schloss, sich aber nur unbefriedigend in das bauliche Gefüge integrierte. Der neue Flügel entwickelt nun den historischen Bestand form- und materialgetreu zu einem ganzheitlichen Gestaltungsbild weiter, zugleich findet er dafür einen zeitgenössischen Ausdruck. Das vorherrschende Fassadenmaterial, ein heller, vorgehängter Sandstein, orientiert sich am alten Kloster, ebenso das große, ruhige Dach samt Deckung in einem braun-bunten Tonziegel als Sonderanfertigung. Zum neu angelegten Garten öffnet sich das Gebäude leicht mit vertikalen Holzlamellen, die Assoziationen an Buchseiten wecken sollen und gleichzeitig als Sonnenschutz für die großen Fenster dienen. Die aufgekippte Traufe bildet einen witterungsgeschützten Vorbereich, der zum Haupteingang der neuen Klosterbibliothek führt.
Man betritt im EG zunächst die offene Foyerfläche mit Informationstresen und gelangt schließlich in die Freihandbibliothek, die durch die Sichtbeton-Kassettendecke nahezu stützenfrei gehalten wird. In den beiden Geschossen darüber finden sich ein weiterer, separater Leseraum und die Magazine mit Rollregallagern, außerdem ein 6 m² großer Klimatresor (Pretiosum) als Raum-in-Raum-Lösung für besonders sensible Schriften. Der Anschluss an den Bestand erfolgt im EG an das etwas tiefer gelegene Niveau des Kreuzgangs über eine Rampe. Vom Bestand wird zudem das ehemalige und im gleichen Zuge sanierte und restaurierte Kalefaktorium, die Wärmestube, als Freihandbibliotheksraum genutzt. Insgesamt 120.000 Bände aus verschiedenen Zeitepochen sind in der neuen, auch für die Öffentlichkeit zugänglichen Klosterbibliothek untergebracht.
Thomas Geuder / db deutsche bauzeitung