Epiphanias-Empfang: Ministerpräsident Weil ruft Bürger zu Rücksichtnahme auf

06. Januar 2023

Landesbischof Meister betont orientierende Kraft der Religion

Nach zwei Jahren Corona-Pause konnte erstmals wieder der traditionelle Epiphanias-Empfang mit Gästen aus Politik und Gesellschaft im Kloster Loccum stattfinden. Ministerpräsident Weil nutzte die Gelegenheit zu einem Appell für mehr Rücksichtnahme.

Angesichts einer zunehmenden Aggressivität in der Gesellschaft hat Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) zu gegenseitiger Rücksichtnahme aufgerufen. „Wir haben nicht das Recht, unsere Freiheit auf dem Rücken von anderen Menschen auszuleben, auch nicht auf dem Rücken nachfolgender Generationen“, mahnte Weil am Freitag beim traditionellen Epiphanias-Empfang der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers im Kloster Loccum bei Nienburg. Landesbischof Ralf Meister betonte die verbindende Kraft der Religion und fand kritische Worte für die Superreichen der westlichen Welt.

Vor rund 140 geladenen Gästen aus Politik, Wirtschaft, Kultur, Gesellschaft und Religion betonte Weil: „Ein ungezügelter Egoismus nach dem Motto 'Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht', kann nicht der Maßstab für unser Zusammenleben sein.“ Der Ministerpräsident ergänzte: „Schrankenlose Freiheit kann niemand von uns beanspruchen.“

Als negatives Beispiel nannte er die Ereignisse der Silvesternacht, in der an vielen Orten die Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten mit Böllern und Raketen beschossen wurden. Derartige Exzesse seien kaum zu begreifen. „Aber es ging den Randalierern offenbar auch um ein großes persönliches Vergnügen. Und dieses Vergnügen war ihnen wichtiger als alle Gefahren, Schäden und Risiken, die sie damit ausgelöst haben.“

Nach zwei Jahren Corona-Pause konnte der Empfang erstmals wieder in den Räumen des mehr als 850 Jahre alten Zisterzienserklosters stattfinden. Die Gäste saßen dicht gedrängt im Refektorium, dem ehemaligen Speisesaal der Mönche mit hohen gotischen Gewölben. Der historische Raum strahlt in neuem Glanz, denn das Kloster wurde in den vergangenen Jahren für rund 35 Millionen Euro grundlegend saniert. Der Empfang gilt traditionell als landespolitischer Starttermin des jeweils neuen Jahres.

Landesbischof Meister sagte, trotz aller Krisen und Umbrüche in den Kirchen sei ihm um die Zukunft des Christentums nicht bange. Es gebe gute Gründe, sehr kritisch auf die eigene Institution zu schauen und sie zu verändern. Dennoch sehe er, „dass die religiösen Überzeugungen auch innerhalb eines säkular werdenden Landes sich weiterhin hartnäckig halten“. Sie könnten ethische Orientierung im Leben geben: „Mit aller wissenschaftlicher Expertise können wir sagen, was wir tun können, aber noch nicht, was wir tun sollen.“

Religionen seien nur dann stark, wenn sie dem Leben, der Schöpfung und allen Bewohnerinnen und Bewohnern des Planeten dienten, sagte Meister: „Erst dann dienen sie Gott.“ Im Blick auf Superreiche, die er „westliche Oligarchen“ nannte, kritisiere der Landesbischof: „Die Kombination von viel Besitz und fehlender sozialer Verantwortung wird immer größer.“

Michael Grau / epd Landesdienst Niedersachsen-Bremen

Hintergrund

Seit mehr als 70 Jahren lädt die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers niedersächsische Repräsentanten aus Politik, Wirtschaft und Kultur zum Jahreswechsel zu einem Empfang in das mehr als 850 Jahre alte Kloster Loccum bei Nienburg ein. Nach zwei Jahren Corona-Pause konnte der Empfang am Freitag erstmals wieder in den altehrwürdigen Räumen des 1163 gegründeten Zisterzienserklosters stattfinden. Vor zwei Jahren musste er wegen der hohen Corona-Infektionszahlen erstmals abgesagt werden. Im vergangenen Jahr wurde er wegen der Pandemie kurzerhand in den Sommer verschoben und im Garten des Klosters unter freiem Himmel gefeiert.

Der ehemalige Landesbischof Hanns Lilje hatte 1950 nach seiner Wahl zum Loccumer Abt erstmals zum „Empfang zwischen den Jahren“ gebeten. Lilje zu Ehren, der vor 46 Jahren am 6. Januar 1977 starb, wurde die Feier auf den Epiphaniastag (6. Januar) verlegt. Sie ist seitdem der erste offizielle politische Termin des neuen Jahres in Niedersachsen.

Zwischen Tradition und Moderne hat der Empfang bis heute einen besonderen Charakter. Lilje bezeichnete seine Gäste gern als „Notabeln des Landes“. So wurden einst die Mitglieder der königlichen Ratsversammlungen in Frankreich genannt. In Loccum beschränkt sich ihre Zahl schon immer auf höchstens 140. Mehr waren nicht im Refektorium unterzubringen. Ein Zeitzeuge erinnert sich: „Der liebe Gott hatte meist ein Einsehen und schickte Glatteis, so dass nicht jeder kommen konnte und doch noch alle einen Platz fanden.“

Landesbischof Ralf Meister, der seit drei Jahren zugleich Abt des Kloster ist, begrüßt am Eingang alle Gäste persönlich per Handschlag. Die Reden sind noch immer allein ihm und dem Ministerpräsidenten vorbehalten. Bis heute gilt es als etwas Besonderes, auf der Einladungsliste zu stehen. Die Jahre, als die einzige Rolle von Frauen das Kaffeeausschenken war, sind allerdings schon länger vorbei. Margot Käßmann sorgte in den elf Jahren ihrer Amtszeit als Landesbischöfin konsequent dafür, dass die Frauenquote unter den Gästen von Jahr zu Jahr stieg. Inzwischen gehören vier Frauen fest zum Konvent des Klosters.

Früher wurde neben Kaffee und Butterkuchen nur noch der eine oder andere Schnaps zum Aufwärmen gereicht, bevor sich um 18 Uhr in der Klosterkirche alle zur Andacht, der Hora, versammelten. Heute ist das Angebot um Orangensaft, Sekt und Salzgebäck erweitert.

epd Landesdienst Niedersachsen-Bremen